Mehr Patina als von Bühnenbildner Toni Businger beabsichtigt, haben die musizierenden Puten und die mit künstlichen Blumen bestückten Vasen auch nach 20 Jahren nicht angesetzt. Und unverändert vervielfachen sich die 30 Kronleuchter zauberhaft in der Spiegeldecke, ebenso wie das immer noch selbe Orchester – nur, dass das jetzt halt nicht mehr Aargauer Symphonieorchester, sondern Argovia Philharmonic heisst. Was 1995 begonnen hatte, ist längst lieb gewordene Tradition für Einheimische und Zugereiste, nämlich den Abend vom Berchtoldstag beschwingt am Wettinger Neujahrskonzert im Tägerhard-Festsaal zu verbringen.
Politprominenz beim Apéro
Seit eh und je lädt der Gemeinderat sämtliche Besucher nach dem Konzert zum Apéro ein. Vor dem musikalischen Genuss tut dies jeweils die Neue Aargauer Bank. Heuer wünschten sich dort unter anderem die Nationalrätinnen Corina Eichenberger, Yvonne Feri, Ruth Humbel, Grossratspräsident Thierry Burkart und seine Vorgängerin Vreni Friker sowie weitere Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft bei weissem oder rotem Wettinger «Prosit Neujahr». Zwischen warmen Crevetten und kaltem Parmaschinken wurden Wangen geküsst und allerbeste Wünsche ausgetauscht, bevor schliesslich das Konzert begann.
Oh du schöne Operettenseligkeit
Zur farbenfrohen Zierde vom Bühnenrand im Festsaal und vom Foyer hatten – auch dies wie eh und je – zwei Wettinger Gärtnereien frische florale Üppigkeit spendiert. Und ebenfalls zum 20. Mal trat Marc Kissóczy ans Dirigentenpult. Für Überraschung sorgen jeweils die stets wechselnden Solisten. Diesmal nahmen die reizende österreichische Sopranistin Stephanie Pfeffer und der stattliche Berner Tenor André Scheidegger mit dem Orchester zusammen die Zuhörer mit auf eine kleine Reise zu grosser Operettenseligkeit.
Sie führte von der «GlühwürmchenIdylle» aus Paul Linckes «Lysistrata» bis zu «Meine Lippen, die küssen so heiss» aus Lehárs «Giuditta». Müsterchen aus Lehárs «Paganini», «Lustige Witwe», «Graf von Luxemburg», aus Kálmáns «Gräfin Mariza» und Robert Stolz’ «Zwei Herzen im Dreiviertel-Takt» fehlten ebenso wenig, wie musikalische Gourmandises von François Auber, Léo Delibes und Johann Strauss Sohn samt – als letzter Zugabe – dem Radetzkymarsch von Vater Strauss.
Die beiden Solisten überzeugten und begeisterten durch ihre schmeichelnd-schöne Stimmen ebenso, wie das Orchester durch Reinheit, Facettenreichtum und Temperament. Kurzum – man konnte so richtig nach Noten schwelgen. Und sollte jemand noch mit einem Rest-Kater von Silvester ins Tägerhard gekommen sein, so hatte der herrliche Melodienreigen ihn bis zum Konzertende garantiert endgültig auskuriert.
«Wir brauchen mehr Sanftmut»
Wie es die 20-jährige Tradition will, gesellen sich am 2. Jänner in Wettingen zur Musik auch immer Worte vom Gemeinde- und vom Landammann. Markus Dieth überbrachte «zu diesem ersten Glanzpunkt des Jahres im Kanton» die Grüsse und Neujahrswünsche des Wettinger Gemeinderats.
Roland Brogli, nach 2004/05 und 2009/10 zum dritten Mal Aargauer Landammann, freute sich aufrichtig an dem Anlass dabei zu sein: «Musik stärkt uns, Musik erneuert uns.
Musik verwandelt uns. Sowohl in der Politik, als auch in der Musik muss es immer darum gehen, dass der Einzelne sich in den Dienst der Gemeinschaft stellt. Alles hat seinen Platz, in der politischen Arbeit genauso wie im Orchester. Niemand verliert sich in Einzelheiten, alles Streben gilt dem Ganzen», betonte Brogli.
Die Zahl der Stars in Politik und Musik sei gross: «Sie leuchten grell und verschwinden schnell. Suchen wir verlässliche Leitsterne. Die leuchten hell, aber nicht grell.» Mit Nachdruck mahnte Brogli zum Schluss: «Was wir in der Politik vor allem brauchen, ist mehr Sanftmut. Zukunftsträchtige Politik ist sanft und mutig zugleich. Sanftmut mag wie Demut aus der Mode gekommen sein. Trotzdem halte ich Sanftmut für eine äusserst wertvolle Tugend.»