Brittens dunkle Träume
Neue Zürcher Zeitung, Felix Michel 8.11.2014, 05:30 Uhr
Wenn ein
Tänzer und drei Singstimmen eine Bühne bespielen, in deren Boden das
Galatea-Quartett ebenso eingesenkt ist wie Edward Rushton und sein Flügel, um
zunächst weder Zusammengehöriges noch für die Bühne Gedachtes zu einem
Gesamtkunstwerk zusammenzuschmieden – kann das gutgehen? – Und ob! Dann
nämlich, wenn Rachel Eisenhut und ihr «Klang und Szene»-Team dahinterstecken.
Ihre konzeptionelle Sorgfalt reichte dabei bis ins Programmheft, das anregende
Essays und sorgsam-eigenwillige Liedtext-Übersetzungen (Markus Marti) zur
lohnenden Lektüre machten. Diese allerdings musste vor oder nach der Aufführung
erfolgen, denn das verbindende Projektthema war Nacht, Traum und Dunkelheit,
und entsprechend finster blieb es im Zuschauerraum.
Benjamin
Brittens grossartige Musik, der all dies galt, hat zwar stets einen Zug ins
Lichte. Aber selbst das hymnisch strahlende Andante aus seinem 1.
Streichquartett, mit dem der Abend schloss, bewahrte eine apollinische Balance,
deren Gefasstheit man gerne als Widerhall dionysischer Anfechtungen und
Verlockungen auffasste. Diesen letztgenannten widmeten sich die 90 Minuten
zuvor, leichtfüssig-hintergründig wie Brittens Lieder und Streichquartettsätze.
Sparsame szenische Mittel spannen feine assoziative Fäden: Ein Eimer wurde zur
Wiege, verführerisches Haar zu schweren Stricken; eine Traumlogik mit
Spiegelungen (raffiniert Eugen Eisenhuts gestaffelte halbtransparente Paneele),
absurden Utensilien und plötzlichen Allusionen – dünkte da einen eine Frisur
nicht aus einem gewissen Botticelli-Gemälde vertraut?
Und
selbst wo die szenische Aktion einmal das Auffassungsvermögen strapazierte,
liess sich dies schlüssig als Teil der nächtlichen Erfahrungswelt verbuchen –
erst recht, wenn es sich um effektvolle Einfälle handelte wie die Verquickung
von Narziss-Stoff und Höhlengleichnis in der Begegnung des Tänzers (Gaël
Alamargot) mit seinem Schatten. Meist jedoch fügten sich darstellerische und
musikalische Qualität glücklichstens: Jonathan Sells verkörperte das ihm
zugewiesene Dämonische packend und frönte mit seinem agilen Bariton
artikulationsfreudig der Sprachlust im William-Blake-Zyklus, Rupert
Charlesworth stand ihm als Schauspieler und mit seinem schlanken Tenor von
eleganter Kraft genauso wenig nach wie die Sopranistin Stephanie Pfeffer, die
sich übergangs- und mühelos durch die Oktaven bewegte und in wandelnden Rollen
für die Glanzlichter sorgte. Rushton war allen drei perfekter Begleiter mit
präziser, fast szenischer musikalischer Gestik.
Zürich,
Theater Rigiblick, 6. November. Weitere Aufführung Samstag, 8. November, 20
Uhr.